Burnout und stressbedingte Ausfälle sind mittlerweile die zweithäufigste Ursache für Krankschreibungen. Die meisten aller krankheitsbedingten Frühberentungen gehen auf psychische Erkrankungen zurück. Und nicht nur das; die berenteten Personen werden im Schnitt immer jünger. 1)
Weshalb tun sich Unternehmen häufig noch immer schwer damit, psychischer Gesundheit den hohen Stellenwert beizumessen, den sie reell einnimmt?
Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz ein hot topic, das in mittelständischen und kleinen Unternehmen jedoch oft unter den Tisch fällt. Ist der Kostendruck sowieso schon hoch, sehen sich viele Unternehmer außerstande, ein Budget für Prävention oder begleitende Maßnahmen aufzubringen. Was zunächst rein rechnerisch einleuchten mag, ist jedoch ein Trugschluss, der unter Umständen teuer bezahlt werden muss. Denn gerade kleine und mittlere Unternehmen trifft es besonders hart, wenn eine oder sogar mehrere Arbeitskräfte ausfallen. Erschwerend kommt hinzu, dass die durchschnittliche Dauer psychisch bedingter Arbeitsunfähigkeit mit knapp 40 Tagen immens ist.1)
Was hemmt Unternehmen daran, besser auf die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu achten? Ist es Ahnungslosigkeit? Hilflosigkeit? Ignoranz?
In kleinen und mittelständischen Unternehmen herrscht häufig Mangel – an Angeboten, Infrastruktur und Awareness. Große DAX-Konzerne haben, oder auch: müssen (aus wirtschaftlichen Gründen) reagieren; viele bieten medizinische Check-Ups, Sport, Vorsorgeuntersuchungen, Seminare zur Stressbewältigung und gesetzliche Gefährdungsbeurteilungen an – allerdings mit verschieden guten Ergebnissen.
Macht es also einen Unterschied, ob eine Politik angeboten wird, weil es rein wirtschaftlich als sinnvoll gilt, oder ob sie tatsächlich gelebt wird?
Ganz offensichtlich: Ein entscheidender Punkt effektiver Prävention ist, dass für die Mitarbeiter nicht bloß eine Infrastruktur implementiert wird, sondern gleichzeitig auch die Voraussetzungen und der Anreiz geschaffen werden, diese tatsächlich zu nutzen.
Ein Wandel muss zunächst in den Köpfen stattfinden und kann sich nur vollziehen, wo auch notwendige Grundlagen und Strukturen bereit stehen.
Die besten Maßnahmen können nicht fruchten in einer Umgebung, in der ein Mitarbeiter, der seine Arbeit pünktlich um 17 Uhr beendet als sogenannter „Low Performer“ angesehen wird. In zu vielen Unternehmen gilt noch immer, dass der vermeintlich wirklich loyale Mitarbeiter auch unbezahlte Überstunden schiebt oder am Wochenende reinkommt, Arbeitsmails von zuhause aus checkt und selbst im Urlaub erreichbar ist.
Unhinterfragte Selbstverständlichkeiten dieser Art sind hochgefährlich: In der Europäischen Union sind Schätzungen zufolge rund 50 Millionen Menschen von Depressionen, Erschöpfung und Suchterkrankungen betroffen. Tendenz steigend.
Doch das ist kein unausweichliches Schicksal. Wir sehen Unternehmen in der Pflicht, ihre jeweilige Unternehmenskultur und die Arbeitsvoraussetzungen nach Kräften so zu gestalten, dass erlernte Techniken aus Präventivmaßnahmen auch tatsächlich umsetzbar und lebbar sind. „Darf man hier auf sich achten?“ – Führungskräfte sollen überlegen, ob ihre Mitarbeiter diese Frage mit „ja“ beantworten würden. Falls nicht, ist es wichtig nach den Ursachen dafür zu suchen und die eigenen Handlungsspielräume, das zu ändern, auszuloten.
Das Bundesgesundheitsministerium betont, dass Prävention und die Förderung psychischer Gesundheit als Teil eines nachhaltigen betrieblichen Managements zunehmend an Bedeutung gewinnen. Da kleine und mittelständische Unternehmen die finanziellen und personellen Kapazitäten für betriebliche Gesundheitsförderung oft nicht aufbringen können, gibt es seit 2016 regionale Koordinierungsstellen der Krankenkassen, um Firmen Beratung und Unterstützung anzubieten. 2)
Wie gewinnbringend und nachhaltig diese jedoch genutzt und umgesetzt werden, liegt in der Hand der Unternehmen selbst.
1) BKK Gesundheitsreport 2015, S. 39
Zum Autor: Norbert Hüge
Norbert Hüge studierte Wirtschaftswissenschaften in Aachen und Gesundheitswissenschaften in Bielefeld. Als Gründer und Inhaber von MILD – Münchener Institut für lösungsorientiertes Denken und der MILD Akademie unterstützt er u.a. Unternehmen und deren Beschäftigte mit Coaching, Beratung und Training im Themenkomplex „Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz“. 2011 initiierte er die Gründung des DBVB – Deutscher Bundesverband für Burnout-Prophylaxe und Prävention e. V..