Ausmaße und die Auswirkungen stressbedingter psychischer Erkrankungen sind nicht mehr wegzudiskutieren und verbreitet wie nie.
Dennoch spricht der Großteil der Betroffenen nicht darüber. Die Schamgrenze liegt deutlich höher als bei rein körperlichen Leiden. Häufig werden schlussendlich nur körperliche Symptome kommuniziert, die in der Folge psychischer Belastung auftreten können wie etwa Migräne, Tinnitus, Probleme mit dem Herzen oder dem Magen.
„Erschöpfungsdepression“, „psychischer Zusammenbruch“ – das klingt für viele noch immer nach persönlicher Schwäche. Im Gegensatz zu körperlichen Problemen steht bei psychischer Überlastung schnell die Anmutung eines persönlichen Versagens im Raum – sowohl in der Eigen- als auch in der Fremdwahrnehmung.
Betroffenen, aber auch Außenstehenden wie Arbeitgebern fällt es leichter mit einer Krankheit umzugehen, die sichtbar, darstellbar oder zumindest vorstellbar ist. Doch psychische Überlastung ist kein gebrochener Arm, dessen Heilungsprozess man relativ einfach nachvollziehen kann.
Interessant ist, dass zeitgleich mit der Verbreitung des Begriffs „Burnout“ der Anteil psychisch bedingter Arbeitsunfähigkeiten in die Höhe schoss. Einer der Gründe dafür könnte der Terminus selbst sein, der nach wie vor keine eigenständige Diagnose nach IDC 10 (International Classification of Diseases) ist und der sich zunächst auf Lehr- und typische Helferberufe fokussierte.
Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) moniert, dass fehlende Gleichstellung den Begriff des Burnout mit einer Erkrankung der Leistungsträger und der „Starken“ gleichsetzt, während Depression mit einer Erkrankung der (anlagebedingt) „Schwachen“ verknüpft würde. Was selbstverständlich nicht zutreffend sei.2)
Burned out – also ausgebrannt zu sein, wird gesellschaftlich besser akzeptiert als an Depressionen zu leiden. Ausgebrannt zu sein impliziert, dass man zuvor gebrannt hat. Psychische Erschöpfung im Arbeitsleben erhielt so erstmals einen Grad von Salonfähigkeit und wird seither auch häufiger richtig diagnostiziert.
Klar ist: Die durch stressbedingte psychische Erkrankungen verursachten Kosten sind immens – sowohl für die Volkswirtschaft als auch die Unternehmen.
Es besteht dringender Handlungsbedarf, auch weil die Gesundheit der Beschäftigten maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen beiträgt.
Aber ist Wirtschaftlichkeit denn zum einzigen noch gültigen Maßstab geworden?
Liegt hier das Grundproblem? Dass Werte wie Muße, Beständigkeit oder Gründlichkeit in der rasanten Beschleunigung unseres Arbeitslebens verloren gehen? Umfrageergebnisse der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) legen solche Vermutungen nahe. Als psychische Hauptstressoren bei der Arbeit gelten starker Termin- und Leistungsdruck, sehr schnelles Arbeiten, das gleichzeitige Betreuen verschiedener Arbeiten sowie Störungen und Unterbrechungen.2)
Kann „man“ sich Menschlichkeit im unternehmerischen Umfeld überhaupt noch leisten?
Was wir mit Sicherheit sagen können: Wir können es uns nicht leisten, sie außen vorzulassen. Auf Menschlichkeit zu verzichten bedeutet, den Menschen in seinem Menschsein und seinen Bedürfnissen zu missachten und ihm Schaden zuzufügen. Und damit ist niemandem geholfen.
2) http://www.baua.de/de/Publikationen
Zum Autor: Norbert Hüge
Norbert Hüge studierte Wirtschaftswissenschaften in Aachen und Gesundheitswissenschaften in Bielefeld. Als Gründer und Inhaber von MILD – Münchener Institut für lösungsorientiertes Denken und der MILD Akademie unterstützt er u.a. Unternehmen und deren Beschäftigte mit Coaching, Beratung und Training im Themenkomplex „Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz“. 2011 initiierte er die Gründung des DBVB – Deutscher Bundesverband für Burnout-Prophylaxe und Prävention e. V..